Fachbericht: Königsdisziplin Stechdrehen

Als Paul Horn im Jahr 1972 die Wendeschneidplatte des Typs 312 der Öffentlichkeit vorstellte, war das im Prozess des Stechdrehens eine kleine Revolution. Als erster Hersteller überhaupt präsentierten die Tübinger ein dreischneidiges Werkzeugsystem mit stehender Hartmetall-Wendeschneidplatte für das Stechdrehen. Heute ist der Prozess Stechdrehen mit Wendeschneidplatten in der modernen Fertigung nicht mehr wegzudenken.
Horn hat für den Prozess Stechdrehen zahlreiche Werkzeugsysteme im Portfolio.
Horn hat für den Prozess Stechdrehen zahlreiche Werkzeugsysteme im Portfolio.Bild: Hartmetall-Werkzeugfabrik Paul Horn GmbH – Nico Sauermann

Radial-Einstechen, Abstechen, Axialstechen und Inneneinstechen mit µ-genauer Präzision gehören heute zum Alltag in der zerspanenden Industrie. Mit dem damaligen Ansporn von Paul Horn zur technischen Perfektion seiner Produkte, setzt das Unternehmen heute weiterhin Standards in der Werkzeugtechnologie für diesen Bearbeitungsprozess. Bis heute ist die 312er Platte bei Anwendern beliebt. Der süddeutsche Werkzeugspezialist hörte dabei nicht auf, auch erfolgreiche Produktfamilien stets weiterzuentwickeln und zu optimieren. Parallel dazu integrierte Horn die Wertschöpfung für sein gesamtes Produktprogramm zu 100 Prozent in die eigene Fertigung.

Als erster Hersteller überhaupt präsentierte Horn ein dreischneidiges Werkzeugsystem mit stehender Hartmetall-Wendeschneidplatte für das Stechdrehen.
Als erster Hersteller überhaupt präsentierte Horn ein dreischneidiges Werkzeugsystem mit stehender Hartmetall-Wendeschneidplatte für das Stechdrehen.Bild: Hartmetall-Werkzeugfabrik Paul Horn GmbH – Nico Sauermann

>>Standzeit auf 2.000 Bauteile verdoppelt<<

Die Einsatzmöglichkeiten des Werkzeugs sind enorm gestiegen, nachdem die Platte ursprünglich fast ausschließlich in der Automobilindustrie zur Anwendung kam. Die zur Außenbearbeitung entwickelte ‚312er‘ findet ihren Einsatz unter anderem bei Werkstücken für die Medizintechnik, bei der Herstellung von Hydraulikkomponenten sowie bei Gegenständen des täglichen Lebens wie Schmuck oder Kugelschreibern. Es ist jedoch nicht nur die Wendeschneidplatte (WSP) des Typs 312, die den Präzisionswerkzeughersteller zum Spezialisten für die Bearbeitung zwischen den Flanken bekannt gemacht hat. Zahlreiche andere Werkzeugsysteme folgten der Idee von 1972, die sich heute erfolgreich beim Stechdrehen weltweit im Einsatz befinden.

Anspruchsvoller Prozess

Grundsätzlich ist beim Stechdreh-Prozess von einer schmalen Schneide die Rede, die in radialer oder axialer Richtung ins Werkstück einsticht. Die Kunst beim Stechdrehen ist unter anderem die Kontrolle des Spanflusses. Klemmende Späne, Spänestau oder lange Wirrspäne gilt es in der Praxis zu vermeiden, da sie die Prozesssicherheit negativ beeinflussen und zum Bruch des Werkzeugs und zu verkratzten Flanken führen können. Je nach zu bearbeitendem Werkstoff und Bearbeitungsart entwickelten die Experten bei Horn unterschiedliche Spanformgeometrien, welche die prozesssichere Spanverjüngung, Spanlenkung und den Spanbruch sicherstellen.

Programm zum Stechdrehen erweitert

Obwohl Horn das Werkzeugportfolio deutlich erweiterte, nicht nur im Bereich Stechdrehen, sondern für alle Anwendungen im Feld der anspruchsvollen Zerspanaufgaben, gilt das Stechdrehen – und somit die Bearbeitung zwischen zwei Flanken – weiterhin als Königsdisziplin. Auf den Fachmessen AMB 2022 in Stuttgart und IMTS (Chicago, USA) zeigten die Süddeutschen Neuheiten und Erweiterungen zum Thema Stechdrehen.

Ein weiterer entscheidender Faktor für einen wirtschaftlichen Stechdrehprozess ist die ausreichende Versorgung mit Kühlschmierstoff (KSS). Wo früher mit der klassischen Überflutungskühlung von außen gekühlt wurde, befinden sich heute moderne Werkzeugträger – meist mit innerer Kühlmittelzufuhr – im Einsatz. Dies stellt die effektive Kühlung der Scherzone zwischen Werkzeugschneide und Werkstück sicher. Für das Abstechen bietet Horn zudem eine Schneidplatte des Typs S100 an: Mit Hochdruck versorgt sie direkt durch die Schneidplatte die Kontaktzone mit KSS. Werkzeuge sind beim Stechdrehen hohen Belastungen ausgesetzt. Für einen prozesssicheren und wirtschaftlichen Stechdrehprozess sind des Weiteren die Qualität der eingesetzten Hartmetalle, die Schneidplattenbeschichtung sowie die Qualität der Schneide wesentlich.

Aus der Praxis

Einen breiten und tiefen Einstich bei einem Aerospace-Bauteil fertigt ein Anwender über das trochoidale Stechverfahren. Das trochoidale Stechen eignet sich ausgezeichnet zur Herstellung tiefer und breiter Einstiche mit hohem Spanvolumen. Das Bauteil fertigen die Zerspaner aus 1.4548 (X5CrNiCuNb17-4-4), einem Stahl mit hoher Festigkeit und Zähigkeit. Zur Anwendung beim Schruppen kommt hierbei eine Vollradius-Stechplatte S229 mit 2mm Radius.

Das trochoidale Stechen eignet sich insbesondere auch zur Herstellung von tiefen und breiten Einstichen.
Das trochoidale Stechen eignet sich insbesondere auch zur Herstellung von tiefen und breiten Einstichen. – Bild: Hartmetall-Werkzeugfabrik Paul Horn GmbH – Nico Sauermann

Der Stechprozess gestaltet sich wie folgt: Der 30mm breite und 15mm tiefe (inkrementelle) Einstich wird mithilfe einer Vollradius-Wendeschneidplatte trochoidal geschruppt mit einer Schnittgeschwindigkeit von vc=140m/min bei einer Schnitttiefe von ap=1mm. Der Vorschub ist mit fn=0,25mm-1 programmiert. Das Schlichtaufmaß liegt bei 0,2mm. Beim Schlichten wird ebenfalls eine Schneidplatte des Systems S229 verwendet. Die Schlichtbearbeitung geschieht von zwei Seiten mit einer 3mm breiten Stechplatte. Der Eckenradius beträgt 0,2mm. Die Gesamtfertigungszeit des Einstiches liegt bei unter zwei Minuten.

Axialstechen in der Medizintechnik

Zur Fertigung eines dünnwandigen Ventildeckels aus Titan für ein Hirnwasser-Shuntsystem nutzt der Anwender das System Supermini des Typs 105. Zum einen setzt er ein Werkzeug für die Axialeinstiche und zum anderen ein Sonderwerkzeug zum Schlichten der Deckelpassung ein. Für die schmale Passung am Deckel mit 0,5mm Länge legte Horn das Supermini-Werkzeug mit einem Eckenradius von 0,05mm aus. Herausforderungen stellen bei der Titanbearbeitung in aller Regel das Abführen der Wärme sowie die Kontrolle der Späne dar.

Für den Einsatz als Implantat legte der Anwender strenge Kriterien an die Oberfläche und die Gratfreiheit des Bauteils fest. Über die Optimierung der Verfahrwege durch ein CAM-System konnten die erfahrenen Kollegen der spanenden Fertigung die Standzeit von ursprünglich 1.000 auf nun 2.000 Bauteile verdoppeln.

www.horn-group.com

Hartmetall-Werkzeugfabrik Paul Horn GmbH

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