Fachbericht: 3D-Druck mit Edelstahl 440C

Bei der additiven Fertigung von Metallbauteilen wird feines Metallpulver Schicht für Schicht mithilfe eines leistungsstarken Lasers miteinander verschmolzen. Nicht aufgeschmolzenes Pulver lässt sich nach dem Prozess fast zu 100 Prozent wiederverwenden.
Bei der additiven Fertigung von Metallbauteilen wird feines Metallpulver Schicht für Schicht mithilfe eines leistungsstarken Lasers miteinander verschmolzen. Nicht aufgeschmolzenes Pulver lässt sich nach dem Prozess fast zu 100 Prozent wiederverwenden.Bild: Protiq GmbH

Bei allen additiven Fertigungsverfahren werden die Bauteile schichtweise durch Materialzugabe aufgebaut. Beim weit verbreiteten Selektiven Laserschmelzen (SLM) / Direkt Metall Laserschmelzen (DMLS) erfolgt die Teileherstellung aus feinem Metallpulver. Der schichtweise Aufbau bietet hierbei das Potenzial, schnell, materialsparend und individuell mit hoher Gestaltungsfreiheit zu produzieren.

Härtester Stahl im 3D-Druck-Markt

Als weltweit erstem Unternehmen ist es Protiq aus Blomberg in Kooperation mit dem dänischen Materialhersteller Asgaard Metals gelungen, den Edelstahl 440C additiv zu verarbeiten. Asgaard Metals vertreibt das Material unter dem Namen Thor44 (Spezifikation 1.4136). Der Werkstoff kam bisher vor allem bei Kugellagern und Klingen zum Einsatz. Er zeichnet sich durch seine hohe Härte von bis zu 63HRC als der weltweit härteste Stahl am additiven Markt aus.

Jan Gierse von UG-Tools (l.) und Johannes Lohn (Protiq) präsentieren hochwertige Messer und Klingen der Messermanufaktur. Diese werden mit 3D-gedruckten Griffen aus Titan oder vollständig aus 440C additiv gefertigt.
Jan Gierse von UG-Tools (l.) und Johannes Lohn (Protiq) präsentieren hochwertige Messer und Klingen der Messermanufaktur. Diese werden mit 3D-gedruckten Griffen aus Titan oder vollständig aus 440C additiv gefertigt.Bild: Protiq GmbH

Als Teil der Phoenix Contact Gruppe betreibt Protiq auf seiner Homepage den Protiq Marketplace. Auf diesem Online-Marktplatz, auf dem die Kunden aus einer Vielzahl von Materialien, Produktionsverfahren und Dienstleistern wählen können, tritt Protiq selbst als additiver Fertigungsdienstleister auf. Mit mehr als zehn Jahren Erfahrung legt das Unternehmen seinen Fokus auf industrielle Kunden und adressiert deren spezielle Anforderungen und hohen Qualitätsansprüche. Gleichzeitig hebt sich Protiq durch die aktive Entwicklung und Qualifizierung von neuen, innovativen Werkstoffen für den 3D-Druck hervor. Das auf diese Weise aufgebaute Knowhow sowie ein tiefes Prozessverständnis ebneten in diesem Fall den Entwicklungserfolg des neuen Stahls 440C.

*Bislang unerreichte Verschleißfestigkeit der Bauteiloberfläche*

Die Prozesse für erste neue Einsatzfelder sind bereits anwendungsreif. Aktuell testet Protiq zusätzliche Anwendungen und entwickelt die Prozesse dahingehend weiter. Die Edelstahllegierung mit ausgesprochen hohem Kohlenstoffanteil gilt als schlecht schweißbar und stellte die Entwickler vor einige Herausforderungen. Aufgrund der prinzipiellen Natur des Produktionsverfahrens als klassischer Schweißprozess – nur eben in sehr kleinem Maßstab – ergeben sich hier ähnliche Aufgabenstellungen. Stähle, die als schlecht schweißbar angesehen werden, lassen sich ebenfalls schwer im additiven SLM-Prozess verarbeiten. Die rasch abkühlenden Schweißbahnen des genutzten Lasers führen üblicherweise bei solchen Werkstoffen zu einer schlagartigen Bildung von Martensit und so zu einer Versprödung und Rissen in den Bauteilen.

Extrem verschleißfest

Durch die Kombination aus einer speziellen Art der Pulverherstellung bei Asgaard Metals und den von Protiq erarbeiteten Prozessparametern ist es gelungen, die Bildung von Martensit im SLM-Prozess zu verhindern. Zusätzlich zeigt das additiv produzierte Material ein besonders feinkörniges Gefüge mit homogenen verteilten Karbiden im Submikrobereich. Das bekannte Gefüge des klassischen, konventionell verarbeiteten 440C-Stahls verfügt in aller Regel über recht große, grobe Körner, die jedoch unerwünscht sind. All dies resultiert in einem erstaunlichen Materialverhalten des additiv aufgebauten Stahlbauteils. Das Gefüge ist durchgehend austenitisch und damit korrosionsbeständig. Zugleich besitzt das Material die Eigenschaften von ‚Trip‘-Stahl. Bei plastischer Verformung entsteht schlagartig harter Martensit, induziert über die eingebrachten Spannungen – lokal am Ort der Deformation. Infolgedessen lässt sich eine Verschleißfestigkeit der Bauteiloberflächen erzielen, die bisher in diesem Maße unerreicht ist.

Leicht und stabil

Der 3D-Druck bietet z.B. für Messerliebhaber – wie im Bericht beschrieben – ein bislang nicht verfügbares Potenzial der Individualisierung und Designfreiheit. Zusätzlich kann durch die additive Fertigung ‚aus einem Stück‘ die typische Schwachstelle einer nachträglich gefügten Messerklinge eliminiert werden. Die hohe Gestaltungsfreiheit des 3D-Drucks erlaubt es, den Griff hohl und dennoch stabil auszuprägen und so viel Gewicht einzusparen. Eine Übertragung der Möglichkeiten auf zahlreiche andere Einsatzgebiete liegt somit auf der Hand.

Diese Eigenschaft bieten das Potenzial, neue Anwendungsmöglichkeiten für additiv gefertigte Bauteile zu eröffnen. Beispiele hierfür sind innovative Umformwerkzeuge oder Gleit- und Kugellager, die beide eine hohe Verschleißfestigkeit voraussetzen. Für die schon etablierte Verwendung 3D-gedruckter Spritzgießwerkzeuge mit optimierten Kühlkanälen zeigt der neue Stahl ebenso großes Potenzial. Die hohe mechanische Festigkeit, Verschleißfestigkeit und darüber hinaus gute Wärmeleitfähigkeit erweisen sich als ideale Eigenschaften für diese Anwendung. Durch das Vermeiden von Cobalt und Nickel in der Legierungszusammensetzung eignet sich der Edelstahl außerdem für den Einsatz im lebensmittelverarbeitenden oder medizinischen Bereich, beispielsweise als OP-Werkzeug.

Härte bis zu 63HRC

Die Eigenschaften des Stahls sind über eine präzise Wärmebehandlung gezielt einstellbar. Unbehandelt verfügt das Material über eine Zugfestigkeit von 1250MPa bei einer Bruchdehnung von 3,5 Prozent und 48HRC Härte. Mithilfe eines nachgelagerten Härteprozesses lässt sich dieser Wert auf bis zu 63HRC erhöhen. Diese Eigenschaften weckten bereits früh das Interesse des Start-Up UG-Tools für eine Nutzung als Messerstahl (www.ug-tools.de). Die junge Manufaktur entwickelt und vertreibt besonders leichte, hochwertige Outdoor- und Survialmesser mit 3D-gedrucktem Griff aus Titan und klassisch gefügter Stahlklinge. In Kooperation mit Protiq sollen nun auch vollständig additiv gefertigte Messer aus 440C in das Portfolio aufgenommen werden. Der neue additiv verarbeitete Edelstahl dürfte in Zukunft noch einige Innovationen bieten. Kunden können ihre Bauteile aus 440C schon jetzt über den Protiq Marketplace als Betamaterial bestellen.

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